Auszug aus einer
Eröffnungsrede
von Sabine Heitmeyer-Löns
„Nachbarschaft“ ist der Titel einer deiner Bildobjekte. Nachbarschaft soll
deshalb auch mein erstes Stichwort für diesen Text sein. Ich möchte diese
Arbeit zur Einführung in dein Schaffen heranziehen.
Zunächst
aber für alle, die die Künstlerin und ihr Umfeld noch nicht persönlich
kennen:
Angelika Schlüter lebt und arbeitet auf Haus Stapel, einem
Wasserschloss in Havixbeck. Stapel ist ein klassizistisches Schloss mit barocker
Vorburg, eine Anlage von morbider, ländlicher Schönheit. Als Ensemble mit
seinen verschiedenen Nebengebäuden erzählt es von einer bäuerlichen
Vergangenheit, die heute in dieser Art nicht mehr möglich ist.
Leben
auf Stapel bedeutet auch, auf einem Areal zu leben, das von der Münsterschen Aa
und einem System von Gräften und Wassergräben durchzogen ist, trotz aller
Drainagen und Kultivierungsversuche immer noch feucht und morastig.
Das
Landstück vermittelt den Eindruck fortdauernden Bestrebens, sein humides
Eigenleben aufrecht zu erhalten, indem es sich subtil der modernen Land- und
Forstwirtschaft widersetzt. Idealer
Lebensraum für Frösche, für alles, was Frösche mögen, und für diejenigen,
die wiederum die Frösche mögen.
Das Bildobkjekt „Nachbarschaft“
Fünf
mehr oder weniger platte, mumifizierte Frösche, weiß angemalt, durch sparsam
aufgesetzte schwarze und rote Farbe an Kopf und Zehen konturiert und dadurch
irgendwie auch ins Leben zurückgeholt.
Alle auf Stapel kennen den Tanz, der mit dem Auto zu vollführen ist, wenn im Frühjahr
des Nachts Kröten und Frösche die Allee überqueren. Nicht zu vermeiden, den
einen oder anderen zu erwischen, der sich dann unter günstigen
Witterungsbedingungen in eine spezielle Mumienkonsistenz hinein trocknet.
Bedauern….natürlich…gleichzeitig
aber auch eine humorige Freude am Wandel der Form, an ihrer Vielfalt.
Der Hintergrund des Bildobjektes Alle
verwendeten Materialien stammen aus dem Schloss. Zuunterst ein weißes Gewebe,
Teil einer Stoffwindel, sicher erst in zweiter oder noch späterer Verwendung
zum Auffangen von Regen oder Tauwasser benutzt, dass sich seit der Erbauungszeit
des Schlosses immer wieder den Weg durch Dach und Gemäuer bahnt.
Verzweifelte
Versuche, Kultur und Natur gerecht zu werden, Sparsamkeit. Die Windel aber auch
als Versatzstück des Lebensanfangs.
Darüber
Goldfolie mit eingeprägtem Blattmuster, leicht, barock anmutend, vielleicht
auch an die wunderbaren Brokate des späten Mittelalters erinnernd. Widerschein
feudaler Pracht glanzvollerer, versunkener Zeiten, überblendet von einem Stück
Tapete mit zartem Blümchenmuster, deren rote Farbe in permanenter Feuchtigkeit
verlaufen zu sein scheint. Es stammt aus einem Zimmer der beiden „Tanten“,
der letzten Baronessen, die Haus Stapel bewohnten.
Die
Frösche davor. Nur bei näherem Hinschauen erkennt man, dass die drei rechten
den Betrachter aus dem Bild heraus anschauen, die beiden linken wenden ihm den Rücken
zu, ihre nach oben gerichteten Augen lassen sie aber dennoch nicht kontaktlos
wirken. Nebeneinander, aber doch aufeinander bezogen. Und auch tot. Lebensende.
Ein Kreis. Wandel. Nachbarschaft.
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