Nachbarschaft, 2011

 

Auszug aus einer Eröffnungsrede von Sabine Heitmeyer-Löns

„Nachbarschaft“ ist der Titel einer deiner Bildobjekte. Nachbarschaft soll deshalb auch mein erstes Stichwort für diesen Text sein. Ich möchte diese Arbeit zur Einführung in dein Schaffen heranziehen. Zunächst aber für alle, die die Künstlerin und ihr Umfeld noch nicht persönlich kennen:

Angelika Schlüter lebt und arbeitet auf Haus Stapel, einem Wasserschloss in Havixbeck. Stapel ist ein klassizistisches Schloss mit barocker Vorburg, eine Anlage von morbider, ländlicher Schönheit. Als Ensemble mit seinen verschiedenen Nebengebäuden erzählt es von einer bäuerlichen Vergangenheit, die heute in dieser Art nicht mehr möglich ist. Leben auf Stapel bedeutet auch, auf einem Areal zu leben, das von der Münsterschen Aa und einem System von Gräften und Wassergräben durchzogen ist, trotz aller Drainagen und Kultivierungsversuche immer noch feucht und morastig.
Das Landstück vermittelt den Eindruck fortdauernden Bestrebens, sein humides Eigenleben aufrecht zu erhalten, indem es sich subtil der modernen Land- und Forstwirtschaft widersetzt. Idealer Lebensraum für Frösche, für alles, was Frösche mögen, und für diejenigen, die wiederum die Frösche mögen.

Das Bildobkjekt „Nachbarschaft“

Fünf mehr oder weniger platte, mumifizierte Frösche, weiß angemalt, durch sparsam aufgesetzte schwarze und rote Farbe an Kopf und Zehen konturiert und dadurch irgendwie auch ins Leben zurückgeholt.
Alle auf Stapel kennen den Tanz, der mit dem Auto zu vollführen ist, wenn im Frühjahr des Nachts Kröten und Frösche die Allee überqueren. Nicht zu vermeiden, den einen oder anderen zu erwischen, der sich dann unter günstigen Witterungsbedingungen in eine spezielle Mumienkonsistenz hinein trocknet. Bedauern….natürlich…gleichzeitig aber auch eine humorige Freude am Wandel der Form, an ihrer Vielfalt. Der Hintergrund des Bildobjektes

Alle verwendeten Materialien stammen aus dem Schloss. Zuunterst ein weißes Gewebe, Teil einer Stoffwindel, sicher erst in zweiter oder noch späterer Verwendung zum Auffangen von Regen oder Tauwasser benutzt, dass sich seit der Erbauungszeit des Schlosses immer wieder den Weg durch Dach und Gemäuer bahnt.
Verzweifelte Versuche, Kultur und Natur gerecht zu werden, Sparsamkeit. Die Windel aber auch als Versatzstück des Lebensanfangs. Darüber Goldfolie mit eingeprägtem Blattmuster, leicht, barock anmutend, vielleicht auch an die wunderbaren Brokate des späten Mittelalters erinnernd. Widerschein feudaler Pracht glanzvollerer, versunkener Zeiten, überblendet von einem Stück Tapete mit zartem Blümchenmuster, deren rote Farbe in permanenter Feuchtigkeit verlaufen zu sein scheint. Es stammt aus einem Zimmer der beiden „Tanten“, der letzten Baronessen, die Haus Stapel bewohnten. Die Frösche davor. Nur bei näherem Hinschauen erkennt man, dass die drei rechten den Betrachter aus dem Bild heraus anschauen, die beiden linken wenden ihm den Rücken zu, ihre nach oben gerichteten Augen lassen sie aber dennoch nicht kontaktlos wirken. Nebeneinander, aber doch aufeinander bezogen. Und auch tot. Lebensende. Ein Kreis. Wandel. Nachbarschaft.